Musivische Texte – Splitter #7

61

Der Puls der Zeit – Das Herz der Texte schlägt anders, widerständiger als das Herz der Men­schen; es pulsiert in ei­ner anderen Zeit – langsamer, bedächtiger, dem Tod ferner. Man­cher unserer Zeit, der Leser, der Vieles liest, mag sich wundern. Doch manchmal trägt ein einziger Absatz, ein Puls­schlag durch ein ganzes Leben.

62

Neue Originalität – „Nichts nimmt ein gutes Ende für den, der nur wartet.“ Einige Ver­schrei­bun­gen, wie die von Tolstoi, lassen sich nicht mehr rekonstruieren, weil man ab­ge­war­tet hat, sich das Origi­nal zu notieren.

63

Keine halben Sachen – Wenn das Leben nach Joseph Roth ein elender Abklatsch schlech­ter Ro­mane ist, dann ist die Erfüllung der Aufgabe, gute Romane zu schreiben, erst die hal­be Erfüllung.

64

Monolog / Polylog – Texte richten sich stets an den Anderen. Obwohl fast jeder es tut, schreibt doch keiner für sich. Niemand ist seine Zielgruppe.

65

Was habe ich noch mal gelesen? – Philosophische Texte sind Anlässe des Denkens – und wol­len nicht mehr sein. Weil sie im eigenen Denken aufgehen, werden sie dort auch ver­ges­sen.

66

Kluft – Man setze die Klarheit und Deutlichkeit Descartes‘ gegen die Unklarheit und Un­deut­lich­keit seiner philosophiewissenschaftlichen Text-Ausleger. Dann öffnet sich die Kluft: zwischen dem Text-Ge­nie und den Text-Stümpern.

67

Wi(e)derlesen – Die wahre Figur des philosophischen Lesens ist die von Vor- und Rück­kehr. Vor­kehr, das heißt Text-Übersprung, Rückkehr -Rücksprung. Was fehlt, ist der Text-Absprung, der in Vor- und Rückkehr schwer zu finden ist – zum Schreiben.

68

Die Kathedrale der Texte – Hegel war ein weiser Mann. Er kannte, im Gegensatz zu dem, was seine the­oretischen Ausleger sagen, den Widerspruch von Theorie und Praxis. Er bau­te sich, wie Kier­ke­gaard irgendwo an­merkt, ein Schloss, aber wohnte, schön bescheiden, im Gartenhaus neben­an. Rudy Harper kommen­tiert das zwar nicht, aber schreibt hell­sich­tig: “A mouse, living in a cathedral, is still a mouse.”

69

Eine Form des Widerstands – Manche lesen, um die Zeit zu überbrücken, manche, um die Brücke der Zeit einstürzen zu sehen.

70

Bewegte Stille – In Texten kommt das Denken zum Stillstand – und so dem eigenen Zeit­kern auf die Spur.

Über Christian Kupke

Philosoph, Autor + Dozent
Dieser Beitrag wurde unter Skizzen veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Hinterlasse einen Kommentar