Musivische Texte – Splitter #10

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Dreischritt – Wahrheit und Hoffnung sind einander diametral entgegengesetzt. Die Wahr­heit ist der Schrecken, die Hoffnung ihre Widerlegung, die Freiheit der Weg dorthin.

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Einsicht aus umgekehrter Richtung II – Falsch lesen ist richtig. Allerdings, man weiß es erst hinter­her. Das ist das Risiko von Freiheit.

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Als Negation – Freiheit lässt sich nur als Position nicht denken. Freiheit, auch als positive, ist negativ, insofern sie in actu Negation ihres Implements ist: Negation der Unfreiheit. Das hat Sartre erkannt, als er die cartesianische Freiheit als „Sich-Losreißen“ bestimmte. Da­ran geht kein Weg vorbei. Wer es bestreitet, bestätigt es gerade.

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Nicht gleichgültig – Die Freiheit der Indifferenz ist zunächst Rückzug – von Differentem – und insofern Negation. Allerdings, ob sie dann noch indifferente und nicht schon dif­fe­ren­te Freiheit ist, bleibt die Frage.

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Wortreich oder nicht, es läuft auf das Gleiche hinaus – Ich kann über Freiheit viele Sätze schreiben. Ich kann es aber auch bei einem belassen: „Ich kann … – das ist Freiheit.“

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Zutiefst menschlich – Illusionen sind unausrottbar. Wer das begreift, ist zumindest von ei­ner Illusion befreit.

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Versierter Pluralismus – Freiheit ist Potentialität im Plural. Jede Einschränkung unserer Potentialitäten ist auch eine Einschränkung unserer Freiheit. Potentialitäten ungenutzt zu lassen, bedeutet selbst, eine Po­ten­tialität zu nutzen – eine potenzierte Potentialität, durch die wir erst sind, was wir sind.

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Basal – Der Mensch ist zunächst Natur, und das heißt: Kreatur. Was er sonst immer sein mag: ein freier Mensch, er ist nicht vom Himmel gefallen, er ist ein Produkt, und was er auch immer den­ken mag, nicht sein eigenes.

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Nicht wahr? I – „Der Mensch lebt in seiner Vorstellung, und nur dort.“ (Herrndorf) Eben da­rin erweist er sich als frei. Aber auch nur in ihr befreit er sich.

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Unauslotbare Potentialitäten – So, als ob – in einer Art Wiedergeburt – jedes Be­wusst­sein, das erlischt, wieder in einem neuen Bewusstsein erwachen würde, hätte ich dies oder das werden kön­nen und wäre dann so, wie die anderen sind oder ganz anders, und um­ge­kehrt. In mir liegen die Potentialitäten der anderen, ich bin eine Potentialität von ihnen. Das ist eine Version von Freiheit.

Über Christian Kupke

Philosoph, Autor + Dozent
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